Mittwoch, 21. September 2016

Ich weiß ...

 



ich weiß wie es ist, wenn man sich etwas vormacht, weil man glaubt, es sei weniger anstrengend als das, was man eigentlich machen sollte. 

ich weiß wie es ist, wenn man sich auf kompromisse einlässt, die von anfang an faul riechen, nur weil man denkt, kompromisslosigkeit macht allein. 

ich weiß wie es ist, wenn nähe fehlt und man nähe zulässt von einem, dem es gar nicht um dich geht, sondern um sich selbst und man denkt, besser als nichtnähe. 

ich weiß wie es ist, wenn man lügen glauben schenkt, weil die wahrheit weh tun würde und ihren preis hat.

ich weiß wie es ist, den anderen vorzumachen, man sei ok und: ja, ich hab alles im griff!, und sich dabei zuhört, wie man sich selbst belügt, nur weil man schwäche nicht zugeben will.

ich weiß wie es ist, wenn man zeit mit sinnlosem tun verbringt, weil man sich ablenken will, von dem was im nichtstun und stillsitzen ins licht treten könnte. 

ich weiß wie es ist, wenn man seinem bauch kein vertrauen schenkt, weil der kopf sagt: hey, das ist doch jetzt nicht wichtig wie sich das anfühlt, du hast einen vorteil davon, wenn du mir mehr glaubst!, und ihm glaubt und auf die schnauze fällst und wie weh das dann tut.

ich weiß wie es ist, wenn man sein herz verletzt und sich mit menschen umgibt,  die einem energie rauben, weil man meint man muss sich kümmern und retten, weil das kümmern und retten das ist, was dir eine lebensberechtigung gibt, die dir abgesprochen wurde von denen, die dich rettungslos allein gelassen haben.

ich weiß wie es ist, wenn man trotz gefühlter ohnmacht immer noch so tut als habe man kontrolle und innerlich fast verrückt wird vor schmerz, aber man es nicht zugeben will vor sich selbst und anderen, weil das versagen bedeuten könnte.

ich weiß wie es ist, wenn man belogen, betrogen und hintergangen wird und immer noch und immer wiederverzeiht, weil man ein guter mensch sein will und gute menschen nicht unverzeihlich sein dürfen. ich weiß wie es ist, wenn man verzeiht und wieder verletzt wird, vom dem, dem man verziehen hat und vor lauter fassungslosigkeit wie gelähmt ist und kein guter mensch mehr sein will.

ich weiß wie es ist, wenn die wut hochkriecht auf die ungerechtigkeit und das leid und man sich einredet, dass alles einen sinn hat, weil es das einzige ist, was dir die kraft gibt weiterzumachen, auch wenn du schon längst todmüde bist und das vertrauen verloren hast, dass am ende doch noch alles gut wird. 

ich weiß wie es ist, wenn man dabei zusehen muss, wie sich geliebte menschen selbst schaden und zerstören und du nichts aber auch nichts tun kannst und du weißt, du hast keine macht über andere menschen, dein gefühl aber sagt: tu weiter alles, bis zur selbstaufgabe, und es tust und am ende selbst am boden zerstört bist.

ich weiß wie es ist, wenn man erkennt: liebe ist nicht genug und dass sie keine krankheit der welt heilen kann, wenn der kranke dazu nicht bereit ist und gott nicht mitspielt. 

ich weiß wie schwer es ist loszulassen, was nicht veränderbar ist und wie schmerzhaft der kampf ist und wie schwer er gelingt und es dann endlich doch tut und aufhört zu kämpfen und einfach nur erschöpft ist und sich immer noch fragt: war es richtig loszulassen?

ich weiß, dass worte überhaupt nichts nützen, wenn die gefühle in dir ganz anders klingen als jedes hilfreiche wort in deinen ohren, von dem du genau weißt, dass es wahr ist.

ich weiß wie es ist, wenn man veränderung zum besseren will und es nicht schafft sie umzusetzen und sich selbst dafür runtermacht, weil man es nicht schafft.

ich weiß wie es ist, wenn alte wunden immer wieder zu bluten beginnnen, und du denkst: nein nicht schon wieder, das hattest du doch längst gelöst!, und wie es sich anfühlt das begreifen: nächste runde und wieder diese mühsal, ich mag nicht mehr. 

ich weiß wie es ist, wenn man fühlt, man sei nicht wertvoll, nicht gut genug, nicht liebenswert genug und so tut, als wüsste man es nicht und den anderen die maske hinhält, die all diesen schmerz verbergen soll und fühlt wie brüchig sie ist vom langen tragen und sich fragt: wann lerne ich endlich mein wahres gesicht zu zeigen, auch auf die gefahr hin verletzt zu werden? 

ich weiß wie es ist, wenn man sex mit liebe verwechselt und innerlich leer bleibt und es trotzdem tut, weil man denkt, besser als weiter unberührt bleiben. 

ich weiß wie es ist, wenn man eine rolle spielt und so tut als sei man wer, der man nicht ist oder auch ist, aber nicht wirklich sein will und seine schatten verbirgt vor sich selbst und anderen, weil man sich vor sich selbst und den anderen dafür schämt.

ich weiß wie es ist, wenn man lächelt, wo man weinen möchte, nur um andere nicht vor den kopf zu stoßen, weil man weiß wie sich zurückweisung anfühlt und sie keinem antun will, weil man sie selbst nicht aushält.

ich weiß wie es ist, wenn man alles verstehen will, weil man doch um die schatten der anderen weiß, wie um die eigenen und wie es sich anfühlt bei allem bemühen doch nicht verstehen zu können, weil es nichts zu verstehen gibt. 

ich weiß wie es ist antworten zu suchen und wie sinnlos alle warum-fragen sind, weil es auf vieles keine antwort gibt und das immer noch nicht glauben will, weil es hoffungslos macht.

ich weiß wie es ist, wenn man meint, man wisse etwas und spürt, dass man nichts weiß und nur glaubt es zu wissen.

ich weiß, dass etwas glauben nur heißt etwas zu meinen und dass etwas wissen heißt: gewissheit haben und dass das nicht dasselbe ist. 

ich weiß wie es ist, wenn man sich ins eigene innere zurückzieht, weil man alles nicht mehr aushält und sich in wahrheit selbst nicht mehr aushält.

ich weiß wie es ist, wenn man trost sucht und keine hand findet, die sich öffnet und dich hält und wie verzweiflung sich anfühlt, weil du dich mutterseelen allein fühlst und trotzdem überlebst und wieder ein stück vertrauen in andere verlierst und dir die kraft, die du auf diese weise gewonnen hast scheißegal ist, weil du immer noch den suchst, der dich bedingungslos liebt und dir halt gibt.

ich weiß all das und noch viel mehr und ich weiß, wie es sich anfühlt, all das zu erkennen und sich selbst in frage zu stellen und nichts mehr zu wissen, nicht einmal mehr wer du bist oder sein willst.

ich weiß, wenn man all das erfahren hat und immer wieder erfährt, kommt irgendwann der moment wo du anfängst mit der absoluten ehrlichkeit dir selbst gegenüber.

ich weiß, dass das der beginn des erwachens ist, der moment wo dir verdammt klar wird: es gibt keine abkürzung, keinen umweg, keinen der das deine für dich tun kann, und: jetzt geht die arbeit erst richtig los.

ich weiß, die arbeit lohnt sich.
das ist keine frage des glaubens für mich – ich weiß es.




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